„Heiter bis wolkig“

Ilse Bill und Wolf Schindler

Katrin Bach im Kulturhaus Holzapfel am 26.4.2014

„Heiter bis wolkig“, man meint Sven Plöger zu hören, der den Wetterbericht im Fernsehen spricht. „Heiter bis wolkig“ ist das gemeinsame, recht wetterfühlige Motto der beiden Künstler, die ich Ihnen hier vorstellen möchte: die Bildhauerin Ilse Bill und den Maler Wolf Schindler.
Ilse Bill lebt und arbeitet in Schongau und Umgebung, viel mit Schulkindern, Wolf Schindler lebt in Weilheim, flüchtet aber zum Malen immer wieder in ein Künstlerdomizil an der Ostsee. Und weil bei seinen Arbeiten das Motto dieser Ausstellung „Heiter bis wolkig“ besonders augenfällig ist, fange ich bei ihm an.
Wolf Schindler ist nicht nur ein Maler, er ist auch ein Poet. Er bringt Ratio und Poesie zusammen als Mann der Sprache und als Mann der Farbe. Er kann Bilder in Sprache und Bilder mit Farben erzeugen. Er schreibt und malt, um Eindrücke und Gedanken festzuhalten. Malerei und Sprache, oder besser Poesie, können sich ja bestens ergänzen. Vielleicht verrate ich jetzt mehr als ich sollte, hier geht es schließlich um Malerei. Mir ist aber auch wichtig, die Haltung des Künstlers zumindest andeutungsweise kennen zu lernen. Wolf Schindler, der das Meer und damit die Sehnsucht nach der  Ferne im Blick hat, konnte sich erst nach der Aufgabe seines Brotberufes endgültig und voll seiner wahren Berufung  widmen.
Gerade erfuhr ich, dass in London eine Ausstellung der beiden Maler-Giganten Sigmar Polke (leider verstorben) und Gerhard Richter stattfindet. Diese waren in einer komplizierten Freundschaft verbunden und hatten sich dem propagierten „Ende der Malerei in der Kunst“ vehement widersetzt. Sie hatten damit recht behalten, die Malerei wird niemals sterben. Sie existiert, seitdem  Höhlenbewohner der Steinzeit die ersten Zeichnungen in die Wände ritzten. Ich glaube, sie ist ein menschliches Urbedürfnis. Und diesem Urbedürfnis gibt Wolf Schindler nach.
Sie haben es schon auf den ersten Blick erkannt: das Wichtigste ist für Wolf Schindler dieFarbe. Als ich ihn kürzlich besuchte, um mir seine Arbeiten wieder ins Gedächtnis zurück zu rufen, schilderte er mir so eindrücklich seinen Umgang mit der Farbe als Gestaltungsweg, dass mir klar wurde: Farbe ist für ihn ein „Lebensmittel“, in diesem Fall scheint es noch mehr zu sein, vielleicht ein „Überlebensmittel?“ Selten wurde mir bei einem Maler die Dringlichkeit im  Umganges mit  Farben so deutlich.  Wolf Schindler geht ganz im Umgang mit Farben auf und er malt aus reiner Freude am Tun, ohne festen Vorsatz, manchmal auch ohne themengestaltende Absicht. Wolf Schindlers Malerei ist  unmittelbar und emotional. Malerei ist ihm ein inneres Anliegen und Antrieb, er arbeitet nur für sich, Malen macht ihn glücklich. Die Freude des Malers  am Umgang mit Farben ist spürbar  und teilt sich dem Betrachter direkt mit.
Und deshalb jetzt ein Zitat:„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“  Dieser euphorische Ausruf stammt nicht von Wolf Schindler- sondern  von Paul Klee. Allerdings könnte er durchaus von Schindler stammen, denn er hat sich ganz der Farbe verschrieben.
Farben  sind stark mit Emotionen verbunden: kühlen Farbtönen wie Blau oder  Violett wird eine dämpfende, heilsame Wirkung zugeschrieben, Rot, Orange und Gelb haben eine aufmunternde , anregende oder gar alarmierende Wirkung, ja nachdem, in welchem Zusammenhang sie eingesetzt werden. Farben erzeugen Gefühle, starke oder schwächere, sie wirken im Unbewussten auf uns ein und erzeugen Freude oder Unbehagen oder auch andere Gemütszustände.
Nun, wir wissen eine ganze Menge über Farben, wir haben alle mal etwas von Goethes Farbenlehre gehört( es gibt wohl kaum ein  Thema, über das Goethe nicht geschrieben hätte.) Johannes Itten vom Bauhaus hat eine wunderbar umfassende und auch wegweisende Farbenlehre geschrieben, die für uns heute noch bestimmend ist. Vor allem aber haben uns die Erkenntnisse der Physik weitergebracht. Die Lichtbrechung in einem Glasprisma ist uns vertraut, die Farben des Regenbogens sind immer wieder faszinierend, Seifenblasen schauen wir uns immer wieder an. Erstaunlich, dass die Summe aller Farben die Farbe „Weiß“ ergibt. Diese Erkenntnis der Physik macht klar, dass jede Farbe ein Teil eines übergeordneten Ganzen ist und alle zusammengenommen die Farbe des Lichtes zeigen, nämlich Weiß. Farbe hat also durchaus etwas an sich, das den Rahmen des irdisch-materiellen sprengt und einen Verweis auf eine übergeordnete Kraft in sich trägt.
In dieser Ausstellung zeigt Wolf Schindler  seine kraftvollen Acrylbilder auf Leinwand oder Papier.  Die Farbe ist sein übergeordnete Thema. Ihre Harmonie , ihre Kraft, ihre Spannung in der Gegenüberstellung, ihre Variabilität in der tonalen Abstufung sind das malerische Thema an sich.
Wolf Schindler hat sich zugunsten der reinen Malerei fast völlig vom Gegenstand gelöst. Er stellt oft Farbflächen einander gegenüber. Manchmal  fügen sich aufs äußerste reduzierte, zeichenhafte Kürzel in die Farbflächen ein. So werden Bezüge zu Landschaften, Schiffen, Häusern, Bäumen, Wolken  und  Pflanzen hergestellt.
Nebensächlichkeiten haben bei Wolf Schindler keinen Platz und nur das, was ihm wirklich wichtig ist, wird in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt.
Auch aus vielen kleineren , quadratischen  Leinwänden bildet er ein großes Mosaik mit einer Vielzahl von Farb- und Flächenvarianten, die einem bunten Teppich gleich die Topografie  eines  farbfreudigen Malprozesses abbilden.
Der Eindruck von Nähe oder Ferne entsteht  bei Wolf Schindler allein durch Farbgebung und Flächenaufteilung im Bild. Seine Malerei bleibt in der zweiten Dimension , der Fläche, und versucht gar nicht erst, sich durch perspektivische Kunstgriffe den Raum zu erobern. Er weiß, dass allein bestimmte  Farbwerte die Illusion von Nähe und Ferne und damit von Räumlichkeit  erzeugen können . Er arbeitet mit den Erkenntnissen der Farbenlehre, er weiß, dass warme Farben  wie Gelb, Ocker, Orange Nähe erzeugen und häufig dem Betrachter entgegenkommen, kühle Farben wie Blautöne  treten zurück. Tiefe im Bild, also Räumlichkeit, entsteht durch kühle Farben, Blau wird  ja auch die Farbe der Ferne genannt und ist somit auch Sehnsuchtsfarbe (blaue Blume). Bei Wolf Schindlers Malerei sehen wirdie Farbe  Blau meist  als Farbe des Himmels oder des Wassers, weil er seine Farbflächen so anlegt, dass sofort die Verbindung Landschaft – Meer – Himmel im von uns ergänzenden Sehen entsteht. Der Horizont als waagerechte Linie erscheint immer wieder und zieht den Blick unweigerlich in die Ferne. Tatsächlich hat man immer wieder den Eindruck von Wetterphänomen, s.“ heiter bis wolkig“, von Landschaft, die durch verschiedene Wetterlagen beleuchtet oder verschattet ist. Auffallend ist das starke Eigenleben der Bilder, sie brauchen Raum.
So kann man , wenn man manche Bilder genauer betrachtet feststellen, dass der Maler nicht nur eine Farbe in einer Schicht aufgetragen hat, sondern dass andere Farben durchschimmern. Durch diese Farbüberlagerung entsteht der Eindruck von Tiefe  und innerer Bewegung. Das folgende Zitat eines unbekannten Verfassers lässt sich ohne Abstriche auf Wolf Schindler übertragen: Malen heisst nicht Formen färben, sondern Farben formen.“ Und Farben formt er wahrhaftig.

Die akademische Bildhauerin Ilse Bill ist bekannt für ihre humorvollen  Tierplastiken, sie zeigt Bronzen von Kühen, Schweinen, Möpsen und Frau Meier. Diese Tier – oder Menschgestalten  stehen nicht nur einfach statisch  in der Landschaft, sondern tanzen und  springen oder können sogar fliegen! Ilse Bill verbindet das Spielerische mit handwerklicher Perfektion und einer großen Portion Witz.
Ilse Bill, die sich selber das klangvolle Pseudonym verpasst hat, ist eine Frau mit Durchblick und Humor. Oder umgekehrt? Es gehört immer Humor dazu, den Durchblick zu verdauen. Das Leben ist nun mal oft vertrackt , da braucht man schon etwas Distanz, um alles gut wegzustecken, was so auf einen einstürmen kann. Ilse Bill hat die Gabe, Kunst und Humor miteinander zu verknüpfen,- bei uns wird ja leider der Humor in der Kunst zu gering bewertet, zumindest gegenüber der sogenannten ernsten  Kunst. Das sollte sich bitte ändern!
Ich bekam vor kurzem ein Geschenk, ein Buch mit dem Titel: „Deutsche und Humor – Geschichte einer Feindschaft.“ Berlin 2013. Ich kann mir nicht verkneifen, einen Satz  über die  Bedeutung der Kunst für unser Leben zu zitieren, der bei mir eine etwas selbstzufriedene Bestätigung findet:
„Die Kunst ist die höchste Form , die Sinnlosigkeit unserer Existenz nicht nur zu verleugnen oder zu bekämpfen, sondern aus diesem Umstand sogar noch Energie zu gewinnen. Nur die Kunst weiß aus der kratzigen Wolle der Realität feine Gewänder zu spinnen. Kunst ist nichts anderes als die Waffe des Schwachen über das Starke, der Triumph des Geistes über deterministische Realität.“ Und an anderer Stelle: „Vielleicht ist der Humor sogar ein besonderer Höhepunkt der Kunst, da er dem Dilemma unseres Daseins ein Quäntchen Heiterkeit abzuringen vermag, während sich ernste Kunst oft  mit der Abbildung des Dilemmas begnügt.“
Natürlich habe ich mich gefragt: ist das wirklich so schlimm mit uns, sind wir DEUTSCHE so humorlos? Ilse Bill ist aber die lebende  und lebendige Antwort darauf, dass das nicht so sein muß. Klar wissen wir, dass Humor eine Lebenshaltung ist, die uns tragen kann, wenn´ s wieder mal hart auf hart geht. „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“ sagte Joachim Ringelnatz. Und der musste es wissen, denn er hatte wahrhaftig kein leichtes Leben.
Humor hilft uns leben , auch überleben, und auch Ilse Bills Schweine zeigen uns etwas von der sehr erträglichen Leichtigkeit des Schweins – äh, Seins.
Das oft geschmähte Schwein, das erdennahe, runde, intelligente und dem Menschen so nahestehenden (ich meine biologisch), ist  neben der Kuh und dem Mops das Lieblingstier von Ilse Bill. Die von Ilse Bill geformten Schweine sind meist aus Bronze und auch noch Unikate.
Im Wachsausschmelzverfahren geht das Wachsmodell verloren und es entsteht nur einGuß, deshalb ist jede Sau ein Unikat. Und Unikum.
Aber bei Ilse Bill heißt es auch : „Ein Schwein kommt selten allein“ Sie formt immer neue Schweine in allen Variationen, die neueste ist ein Schwein auf einer Wolke. Dieses Wolken- Schwein ist allerdings aus Kunststoff, aus Polymer geformt. Das  ist immerhin vom Gewicht her  ein bisschen leichter als Bronze. Der Herstellungsprozeß laut Aussage von Ilse Bill mühsam und langwierig.
Mit den Werkstoffen Bronze und Kunststoff arbeitet Ilse Bill am liebsten , obwohl sie ursprünglich Holzbildhauerei erlernt hatte, bevor sie die Düsseldorfer Kunstakademie besuchte, die sie als Meisterschülerin von Prof. Schwegler abschloss.
Ilse Bill schafft die Gratwanderung, ein Tier in seiner Charakteristik treffend darzustellen ohne es zu verniedlichen oder gar zu vermenschlichen. Betrachtet man die Tierfiguren, so stellt man fest, dass die Proportionen exakt wiedergegeben sind, Details sind stimmig. In der Bewegung zeigt sich die Meisterschaft der Darstellung.
Die Schweine von Ilse Bill sind auf der einen Seite „ganz Schwein“, naturgetreu, anatomisch korrekt und lebendig modelliert- wir sehen aber sofort Eigenschaften in ihnen, die eigentlich menschlich sind. Die Schweine wirken durchweg vergnügt, ja mehr noch, sie leben das voller Freude aus, was wir uns häufig nicht gönnen. Sie  tun spontan , was ihnen Spaß macht. Ilse Bill zeigt uns ein beneidenswertes Schweineleben, das idealerweise so sein kann, meist aber nicht ist. Wir kennen die Realität und haben sie oft genug auf unseren Tellern.  In diesem Moment habe ich ein leicht schlechtes Gewissen- der  Schinken am Morgen…
Ilse Bill war als Kind eine begeisterte Turnerin  und stammt aus einer überaus sportlichen Familie. Vielleicht hat deshalb die Darstellung der Bewegung in ihrer Arbeit einen so hohen Stellenwert?
Und so zeigt sie als menschlichen  Gegenpol zu  den temperamentvollen Schweinen die nette Frau Meier, die hier fröhlich  trockenschwimmend ihren blumenbewehrten neuen Badeanzug vorführt. Und das in Bronze…Man sieht sie auch nach dem Musikunterricht nackt, eine Ratsche schwingend. „Haste Töne!“ kann man da nur noch sagen.
Eine kleine Kuhherde ist hier auch zu sehen. Überhaupt fing mit den Kühen alles an erzählte mir Ilse Bill. Die anderen Lieblingstiere Schweine und Möpse kamen erst später dazu… Die Kühe von Ilse Bill  sind offenbar Persönlichkeiten., ruhige oder temperamentvolle. Der Stier vor strotzt vor Kraft, er weiß fast nicht wohin damit, mit seinen Hinterläufen schlägt er hoch in die Luft, ein Koloss, der sich mit der Schwerkraft anlegt.
Selten stellt Ilse Bill eine Tierplastik isoliert dar, oft wird gleich ein Umfeld, Untergrund oder Sockel mitgestaltet.
Daneben gibt es aus Gips fröhliche Möpse, wobei ich an Loriots Ausspruch denken muß: „Möpse sind mit Hunden nicht zu vergleichen“, sagt Loriot. „Sie vereinigen die Vorzüge von Kindern, Katzen, Fröschen und Mäusen.“Еin Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos” und scheint Ilse Bill damit aus dem Herzen zu sprechen.